Der einigermaßen erfolgreiche Stückeschreiber und Autor Thomas Blanguernon hat genug von Frankreich, von der französischen Gesellschaft und vom französischen Theater. Er flieht nach Berlin. Doch dann geht ihm das Geld aus. Er nimmt die Einladung zu einem Vortrag auf einer Konferenz zur Krise des Theaters an.
So findet er sich plötzlich wieder in einer Kulturinstitution des französischen Staates und also inmitten all dessen, was er verachtet. Es entspinnt sich ein so virtuoses wie furioses, so gallig komisches wie abgrundtief trauriges Solo der Verfluchung und Verwünschung, das „Le Monde“ als „eines Thomas Bernhard würdig“ beschrieben hat. Auf hinterhältige Art und Weise benützt Christophe Pellet in diesem 2009 geschriebenen Text die Matrix des Theaters als Sprungbrett für eine radikale Kritik unserer neoliberalen, konsumtrunkenen gesellschaftlichen Verfasstheit. Dass er darüber hinaus bereits damals die momentan tobende Migrationsdebatte scheinbar wie nebenbei aufgespießt hat, kann man nur als visionär bezeichnen. Ironischerweise wurde Christophe Pellet für „Der Vortrag“ vom französischen Kulturministerium mit dem Grand Prix de Littérature Dramatique ausgezeichnet. Sein Stück „Erich von Stroheim“ wurde letztes Jahr am Nationaltheater Straßburg mit Emmanuelle Béart in der Hauptrolle von Stanislas Nordey inszeniert und ist seither international auf Tournee. Für seinen jüngsten Text APHRODISIA erhielt er, ebenfalls 2017 und auch übersetzt von Gerhard Willert, den Grand Prix der Académie Française. In ihrer Begründung stellt die Jury Pellet in die Tradition des Theaters der Grausamkeit von Antonin Artaud und stellt fest, dass er den „Schrei“ von Munch zu dramatisieren in der Lage sei. Darüber hinaus dreht Pellet Filme jenseits des Mainstreams, die u.a. im Centre Pompidou gezeigt werden. Für die deutschsprachige Erstaufführung von „Der Vortrag“ hat sich das aus dem Landestheater Linz hervorgegangene NACHTSPIEL mit Harald Gebhartl (Theater Phönix) und Gerhard Willert (langjähriger Schauspieldirektor des Linzer Landestheaters) vernetzt.
Gerhard Willert inszeniert „Der Vortrag“ am Linzer Theater Phönix
Es gibt kein Entrinnen. Selbst für die Flucht vor dem System bedarf es seiner Mittel - wie jenes Geldes, das einem Autor sein Vortrag zur Krise des Theaters an einer der von ihm verhassten französischen Kulturinstitutionen einbringen soll.
Mit „Der Vortrag“ hat der ehemalige Landestheater-Schauspielchef Gerhard Willert das 2009 entstandene Stück des Franzosen Christophe Pellet übersetzt und als österreichische Erstaufführung beim „Nachtspiel“ am Linzer Theater Phönix inszeniert. Es ist ein brillanter Abend und ein grandioser Auftritt, den Bastian Dulisch, bis 2016 Landestheater-Mitglied, in seinem knapp 100-minütigen Solo hinlegt - als Geist, der alles verneint.
In lässig sitzendem Anzug (Kostüm: Alexandra Pitz) und sonnenbebrillt, wie einer, der nicht erkannt werden will, kauert oder vielmehr lauert er angewidert im Sessel. Wie ein Löwe im Gebüsch, bereit zum Angriff. Auf die hinterhältige Herrschaft des französischen Staates, der Armen nimmt und Reichen gibt. Auf die Persönlichkeiten des Theaters, die Repräsentations-Marionetten mit großen Gesten der Trägheit. Auf die Pferdewurst auf seinem Teller, denn: „Eine Nation mit Soßengerichten hat einen versoßten Geist“, der das Echte, die Seele verleugne. „Demütigung, Denunziation, Kollaboration und Heuchelei“ seien die Stufen hinab ins gesellschaftliche Inferno, das Pellet mit List und Tücke im Theater spiegelt. Es ist ein verbaler Mount Everest, den Bastian Dulisch bewundernswert sicher im Alleingang erklimmt. Keine Sekunde hängt er in den Seilen, die immer straff gespannt den Abend auf Zug halten. Eine sprachliche und schauspielerische Meisterleistung.
Wie als Abgesang auf die von ihm beklagte verlorene Schönheit und Größe stimmt er selbst Miles Davis auf der Trompete an. „Wenn das Theater verschwunden sein wird, wird es noch immer jemanden geben, der es erträumt.“ Man muss etwas sehr lieben, um es so gekonnt zu „verachten“ wie Pellet in seinem Stück. Sehr langer, begeisterter Beifall für dieses tiefsinnige, tragikomische „Nachtspiel“, das noch zweimal zu genießen ist.
Fazit: Ein tiefgründiges Stück mit einem brillanten Bastian Dulisch.
„Nachtwerk“ - mit Christophe Pellets „Der Vortrag“ im Linzer Theater Phönix
Der Ungeist dieser Nation vergiftet von Geburt an unsere Existenz. Eine hinterhältige Kontamination, die wir lange nicht bemerken, aber die uns über die Jahre verdüstert. Die Theater, die Orte, wo der Kampf gegen die Dummheit geführt werden sollte, aber die Theater doch nur Handlanger des Staates. Spricht Thomas Bernhard? Ein bisschen. Der französische Dramatiker Christophe Pellet hat den österreichischen Beschimpfungsmeister in bester Punk-Manier umgeschrieben, manche Schlüsselwörter „Weinflaschenkorkenfabrikant“) nur leicht variiert. Bildhübsche Ironie, ein Bernhardsches Staatsauszeichnungsschicksal widerfuhr Pellets furiosem Text von 2009: „Der Vortrag“ wurde vom französischen Kulturministerium preisgekrönt. Deutschsprachige Erstaufführung des Monologs „Der Vortrag“ war am Donnerstag, die freie Linzer Theatertruppe „Nachtspiel“ gastierte im Linzer Theater Phönix. Gerhard Willert, vormaliger Schauspielchef am Linzer Landestheater, hat übersetzt und führt auch Regie.
Bastian Dulisch spielt diesen seelisch zerrütteten Dramatiker, der sich mit einem Vortrag ködern hat lassen und dafür von Berlin ins verachtete Frankreich zurückgekehrt ist. Langsam zieht er die Daumenschrauben an, erst noch mit schwarzer Sonnenbrille, distanziert und angewidert. Ein Rundumschlag, ein „Übermaß an Mittelmaß“ an französischen Bühnen, Kleinbürger und sattes Bürgertum. Französische Küche und nationale „Größe“, tatsächlich Antisemitismus und Kolonialismus und Kollaboration mit den Nazis. Die französische Kultur, eine niedrige: „Eine Nation mit Soßegerichten hat einen versoßten Geist.“ Nach 90 Minuten hat sich Dulisch in Rausch und Wahnsinn gezetert. Eine erinnerte Frauenfigur - bernhardesk! – milderte kurz seinen Zorn. Esther, die sensible Kluge, die sich im Fluss ertränkte (schuldig der Staat!). Wenn das letzte Theater verschwunden ist, so Esther, „wird es doch immer jemanden geben, der es erträumt“.
Schlau und heftig, wilder Applaus. Die Theaterkritik („tiefgründig belanglos“) empfiehlt herzhaft.
Gerhard Willert inszeniert „Der Vortrag“ im Theater Phönix
Das Internet spuckt nicht viel aus über diesen Christophe Pellet, dessen Monolog „Der Vortrag“ Gerhard Willert ins Deutsche übersetzt und im Linzer Theater Phönix als deutschsprachige Erstaufführung inszeniert hat. Fast möchte ich schreiben: ein „echter Willert“. Sehr kopflastig, sehr intensiv - und eindeutig zu lang.
Aber gerade weil\'s so ausufernd ist, wird die Bewunderung für Bastian Dulisch im Laufe des Abends immer größer. Wie der sich diese gallige Textwurst einverleibt und in mehr oder weniger genießbaren Häppchen wieder ausspuckt, ja ausschwitzt, ist famos.
Der Monolog erzählt von einer gescheiterten (französischen) Theaterexistenz. Der Redner hatte eigentlich die Flucht nach Berlin ergriffen, aber weil ihm dort das Geld ausging, kehrt er für einen (Theater-)Vortrag zurück nach Frankreich. Dort erhebt sich schließlich ein schier endloses, galliges Lamento, das zwischen „Pferdewuast“, den Erinnerungen an eine verstorbene Freundin und den „Schmerzensmännern am Regiepult“ herumgeistert. Umrankt von einer ordentlichen Portion Selbstmitleid. Während es „Der Vortrag“ wohl nicht in meine Top-Five-Liste schaffen wird, kann ich den Abend dank Bastian Dulisch dennoch wärmstens empfehlen: weitere Vorstellungen am 18. Dezember und am 12. Februar.