Rezensionen
Der Machismo der siebziger Jahre
Elisabeth V. Rathenböck, Krone, 17.09.2011
Premiere von Franz Xaver Kroetz' „Maria Magdalena" im Linzer Theater Phönix
Der Münchner Autor Franz Xaver Kroetz erlebte in den siebziger Jahren mit sozialkritischen Dramen Erfolge. Heute ist es eher stiller um ihn geworden. Das Linzer Theater Phönix „hebt" nun in Krisenzeiten sein vielleicht stärkstes Stück auf die Bühne: „Maria Magdalena" erhielt bei der Premiere heftigen Beifall!
Ein vergnügliches Retro in die siebziger Jahre: Fette Brillen, enge Hosen, Kunstfaserpullis, im Häkelpudel die Schnapsflasche und die Krise... Ja, die Krise der siebziger Jahre hatte vielleicht Ähnlichkeiten mit den tagtäglich herbei beschworenen Krisen von heute. Damals warf der Münchner Franz Xaver Kroetz (65) einen Blick auf die kleinen Leute. Im Jahr 1972 erlebte sein Sozialdrama „Maria Magdalena", das auf dem Hebbel-Klassiker basiert, seine Uraufführung. Erzählt wird die Geschichte von Marie, die unehelich schwanger zwischen Vater, Bruder und künftigen Ehemännern zerrieben wird.
Die Re-Inszenierung von Esther Muschol am Theater Phönix bleibt der Entstehungszeit treu. Und das ist eine der Faszinationen, die die Premiere für sich verbuchen konnte. Die Kostüme (Cornelia Kraske) und die liebevoll detailreiche Ausstattung (Georg Lindorfer) begeistern, die Inszenierung tut der Sozialkritik keinen Abbruch. Ganz im Gegenteil: Der Machismo der siebziger Jahre wird hier knallhart ausgespielt.
Lisa Fuchs ist eine Marie, mit der man mitfühlt, leidet - und zu ABBA tanzt. C. C. Weinberger schimpft als frustriertes Familienoberhaupt auf seine Kinder, ist aber selbst der größte Versager. Ferdinand Kopeinig als Bruder Karl bereitet ihm zunächst auch kaum Freude. Maries Verlobter Leo, brillant gespielt von Matthias Hack, erpresst Marie mit subtiler Gewalt und „ihr Neuer" ebenso, dem Theo Helm scharfe Konturen gibt. Am Schluss bleibt Marie die Geschnapste. Ein toller Saisonstart im Theater Phönix!
„Zuerst musst tot sein, dann glauben wir es!“
Andreas Hutter, Neues Volksblatt, 17.09.2011
Premiere: Franz Xaver Kroetz' Tragikomödie „Maria Magdalena" in Anwesenheit des bayerischen Autors im Linzer Theater Phönix
Am Ende hat es sich der berühmte Dramatiker Franz Xaver Kroetz (65) doch nicht nehmen lassen, der Premiere seines Oldies „Maria Magdalena" (1973) in Linz beizuwohnen. Vorher gab's für ihn eine Führung durch das Phönix, das sich als größer entpuppte als von Kroetz vermutet, nachher angeregte Gespräche mit Regisseurin Esther Muschol, aber auch über mögliche Folgeprojekte. Nach einer Nacht im Hotel Wolfinger ging's gestern zurück nach München. Dazwischen verfolgte der auch schauspielernde „Klatschreporter Baby Schimmerlos" aus der Kult-Fernsehserie „Kir Royal" am Donnerstagabend die zweistündige Phönix-Schau, durchaus zufrieden, stellenweise amüsiert. Zurecht, wenn sich Muschols Inszenierung stellenweise auch etwas zäh auf die raumgreifende Drehbühne mit originalgetreu nachempfundener 70er-Jahre-Wohnung (Ausstattung: Georg Lindorfer und Cornelia Kraske) ergoss. Dazwischen war's durchaus zum Lachen, selbst wenn einem selbiges nicht mehr im Halse stecken blieb wie anno 1973, als die Abtreibungsdebatte auf hoher Flamme köchelte. Damals hatte Kroetz Friedrich Hebbels fatalistische Kleinbürgertragödie von 1843 ins moderne Augsburg verlegt und zur Trübsal-Komödie umgeschrieben. Die Schusterstochter Marie wird darin ungewollt schwanger, doch ihr Freund Leo, ein kühl rechnender Banker, weigert sich, sie zu heiraten, als er hört, dass sein Schwiegervater (C. C. Weinberger) in spe kein Geld für die Mitgift hat. Maries große Liebe Peter rät zur Abtreibung.
Und die Mutter (recht gut: Wiltrud Schreiner) fällt tot um, als Sohn Karl (Ferdinand Kopeinig griffig als Strizzi) wegen „Bruchs" in „Häfn" muss. Eine hermetisch geschlossene Unterschichthölle, bewohnt von gebrochenen Existenzen, die freilich hier zu hochdeutsch parlieren, um nicht etwas blutleer zu bleiben. Deftiger Dialekt hätte nicht geschadet. Sprachlich treffen es Matthias Hack als spießiger Bankbeamter und Theo Helm als köstlicher Macho-Prolo hier am knackigsten. Glaubhaft knistert's auch zwischen Helm und Lisa Fuchs als wütend-verzweifelter (und ein bisschen fader) Marie. Ihre Drohung „Dann bring' ich mich um!" kann die drei Männer am Ende nicht abhalten, sich beim Bier dem Kartenspiel hinzugeben: „Zuerst musst tot sein, dann glauben wir es".
Mit viel Wut im Bauch
Silvia Nagl, OÖN, 17.09.2011
Maria Magdalena: Stück von Franz Xaver Kroetz, Theater Phönix, Premiere am 15. September
Das Stück, 1972 mit spürbarer Wut im Bauch geschrieben, Wut auf die Altvorderen, die viel reden, dabei aber nichts sagen, Wut auf die Gesellschaft generell und im Speziellen auf das alles erstickende Spießertum.
Regisseurin Esther Muschol hat das Stück sehr ernst genommen, es belassen in der Entstehungszeit, den 70ern. Und dafür hat Georg Lindorfer ein wunderbares Bühnenbild auf eine knarrend rotierende Drehbühne gezaubert mit all den bis ins kleinste Detail 70er-Jahre-Möbel- und Dekor-Scheußlichkeiten: großartig!
Doch manchmal möchte man das rotierende Ding ein wenig anschubsen, damit die Chose mehr Tempo und Schwung bekommt, denn die Dialoge sollten schneller, bissiger, kälter daherkommen und sich wie schnelle Giftpfeile in das jeweilige Gegenüber bohren.
Zu brav, zu bieder, zu langsam aber läuft das Geschehen ab. Da fehlen Wut und Bösartigkeit, aus denen sich schließlich auch Larmoyanz und Lächerlichkeit dieser Figuren, die ihre wahren Entsprechungen im Leben haben, herauskristallisieren könnten. Zu weichgespült wirken die Charaktere: Lisa Fuchs als ungewollt schwangerer und ziemlich blöder Trampel Marie wirkt mit ihrem Getrippel und dem Blick ins Leere eher wie auf Drogen. Wiltrud Schreiner als gottesfürchtige und todessehnsüchtige Mama schwebt einer Salonlöwin gleich durch die Räume - unpassend und unglaubwürdig. C.C. Weinberger als Papa trifft den Ton und Gestus des tumben Toren recht gut, auch Matthias Hack als karrieregeiler Beamter ist eine passable Studie, Theo Helm als Peter gerät ins Macho-Komikhafte, was durchaus Berechtigung hat bei diesen selbstherrlichen und zugleich hilflosen Bühnenmenschen, zu denen auch noch Ferdinand Kopeinig und Alois Franz gehören. Die Kostüme von Cornelia Kraske sind stilecht 70er, ebenso wie die Hits aus der Zeit und auch darüber hinaus. Rund zwei Stunden Unterhaltung, die jedoch noch kurzweiliger sein könnte.