Waisen

Deutsch von John Birke

Sujet: Dini Hroß
Premiere:
14.02.2013
Dauer:
-
Spielstätte:
Saal

Besetzung



Kostüme
Ilona Glöckel

Musik
Armin Lehner, Christian Reiner

Lichtgestaltung
Hubert Schwaiger

Dramaturgie
Julia Engelmayer

Matthias Hack
© Tania Marcadella
Matthias Hack
Judith Richter
© Tom Mesic
Judith Richter
Felix Rank
© Apollonia Theresa Bitzan
Felix Rank

Inhalt

Der romantische Abend von Helen und Danny findet ein jähes Ende, als Helens Bruder Liam blutbeschmiert in der Tür steht. Er sagt, er habe einen verletzten Jungen auf der Straße gefunden, er hätte ihm helfen wollen und nein, es sei kein Unfall gewesen. Als Danny vorschlägt, den Jungen zu suchen und ihn in ein Krankenhaus zu bringen, stößt er nicht nur bei Liam, sondern auch bei Helen auf Widerstand. Liam sei „wegen ein paar Dummheiten“ vorbestraft, die Polizei wäre sofort misstrauisch. Danny lässt sich überzeugen, seinen Schwager zu schützen, doch Dannys Zweifel und sein Gefühl der moralischen Verantwortung fragen nach den Zusammenhängen. Plötzlich beginnt sich Liam zu widersprechen … Ein Psychothriller zwischen Liebe, Lügen, Vorurteilen und Gewalt nimmt seinen Lauf. 

Der erfolgreiche britische Dramatiker Dennis Kelly hat mit Waisen ein sehr politisches Stück vorgelegt, das in der kleinsten gesellschaftlichen Einheit, der Familie, gleich mehrere der brisantesten gesellschaftspolitischen Themen verhandelt: Migration, die Angst vor Terrorismus und der soziale Abstieg der Mittelschicht. Unsere „Political Correctness“ wird dabei als allzu dünner moralischer Boden entlarvt, der einer gefährlichen Rhetorik Vorschub leisten kann. Waisen ist „weniger ein Krimi als eine Erkundung der Ängste und Loyalitäten, die uns dazu bringen, zu tun, was wir nicht tun sollten. Sowie die schmerzhafte Überprüfung, wie leicht unsere moralischen Grundwerte korrumpiert werden.“ (The Guardian)

Einblicke


Dini Hroß
© Dini Hroß
Christian Herzenberger
© Christian Herzenberger
Christian Herzenberger
© Christian Herzenberger
Christian Herzenberger
© Christian Herzenberger
Christian Herzenberger
© Christian Herzenberger
Christian Herzenberger
© Christian Herzenberger
Christian Herzenberger
© Christian Herzenberger
Christian Herzenberger
© Christian Herzenberger
Christian Herzenberger
© Christian Herzenberger
Christian Herzenberger
© Christian Herzenberger
Christian Herzenberger
© Christian Herzenberger
Christian Herzenberger
© Christian Herzenberger
Christian Herzenberger
© Christian Herzenberger
Christian Herzenberger
© Christian Herzenberger
Christian Herzenberger
© Christian Herzenberger

Pressestimmen

Die unbarmherzige Bestie Mensch

In „Waisen" im Linzer Theater Phönix werden Emotionen gezeigt

Der Wutanfall war beängstigend: Judith Richter hat mit geiferndem Blick, hochrotem Gesicht, ins Hysterische kippender Stimme und einem wie ein Dolch spitzen Zeigefinger den Höhepunkt ihrer intensiven darstellerischen Leistung an diesem Abend erreicht.

Die Emotionen schwappen grundsätzlich hoch in diesem, brisanten Stück des britischen Autors Dennis Kelly (geboren 1968), der mit „Waisen" ein im besten Sinne englischer Dramatik well-made-play verfasst.

Im stakkatoartigen Hickhack der nie fertig gesprochenen Halbsätze, der andauernd eingestreuten „Sorry" und der vielen ungesagten Fragezeichen schildert er, wie der blutverschmierte Liam in die nur oberflächlich traute Zweisamkeit von seiner Schwester und deren Freund Danny eindringt und von einem Verletzten vor der Türe faselt. Alles gelogen, stellt sich nach und nach und recht spannend aufgebaut heraus. Regisseur Johannes Maile zeichnet komplexe Charaktere, findet die gut austarierte Balance zwischen dichtem Kammerspiel und lautem Gezeter.

Felix Rank gelingt eine exakte Studie eines sich immer benachteiligt fühlenden Neurotikers mit dem Tic, sich ständig kratzen zu müssen, und dem nervös wippenden Bein. Die Dimension des abgründig Bösen, der einen anderen Menschen quält und foltert, vermag er aber nicht so recht zu vermitteln. Matthias Hack als Danny ist anfänglich pedantischer Rechtsbewahrer, erschrickt dann vor sich selbst, als er in sich die Bestie Mensch entdeckt - eine glaubwürdige Wandlung.

Die Bühnenschachtel von Magdalena Gut ist - alternierend mit der urbanen Dreiecksstory „Waisen" wird darin auch die älplerische Dreiecksgeschichte „Weibsteufel" gespielt - quadratisch, praktisch, gut. Die Soundbeigaben in Form von verfremdeten menschlichen Äußerungen wie Seufzen oder Stöhnen sind irritierend, was aber gut zum gesamten Stück passt. Eineinhalb dichte Stunden.

Silvia Nagl, OÖN, 16.02.2013

Sozialdrama im Krimi-Gewand

Premiere: „Waisen", Psychothriller von Dennis Kelly, im Linzer Theater Phönix

Helen und Liam sind Waisen, sie leben aber auch in einer „verwaisten" Gesellschaft. Nicht nur Mama und Papa sind tot, auch „Vater Staat" hat sich aus dem Leben des Einzelnen zurückgezogen - es herrscht ein Gefühl des Verlassenseins. Jedenfalls im 2009 uraufgeführten Stück des englisch-irischen Dramatikers Dennis Kelly, von wo aus sich jenes Sentiment bei der Premiere am Donnerstagabend im Linzer Phönix glaubhaft ins Publikum übertrug. „Waisen" hebt in der konzentrierten Regie von Johannes Maile an als atemloses Krimi-Kammerspiel: Liam, ein zwielichtiger junger Vorstadt-Prolo, platzt blutüberströmt in ein intimes Essen im gutbürgerlichen, wenn auch in „abgefuckter" Gegend liegenden Haus seiner Schwester Helen und ihres Mannes Danny. Er habe auf der Straße einen verletzten Jugendlichen gefunden und ihm helfen wollen, versucht er zu erklären. Allein: Anders als Helen fehlt Danny der Glaube, zumal Liam sich nach und nach in Widersprüche verwickelt. Die Wahrheit kommt bruchstückhaft und stückchenweise ans Licht: Der Lädierte ist gar kein Jugendlicher, sondern erwachsen, Familienvater und Araber, und Liam hat ihn auch nicht verletzt vorgefunden.

Beziehungsdrama in kleiner Besetzung

Zu all dem gesellen sich noch Eheprobleme zwischen Helen und Danny, obwohl sie ein Kind erwarten - der Anlass ihrer privaten Feier wird nachgereicht wie fast alle Informationen in Dennis Kellys Psychothriller. Wie in Karl Schönherrs alpinem „Weibsteufel", als dessen urbanes Gegenstück das Phönix parallel „Waisen" spielt, sorgt Krimi-Dramaturgie auch in diesem zweiten knisternden Beziehungsdrama in Dreier-Besetzung für Spannung. Beiden Stücken gemeinsam ist auch das an eine Lagerhalle gemahnende, hier aber stimmige Bühnenbild von Magdalena Gut: Das Heim von Helen und Danny wirkt unfertig und kalt - so, wie stellenweise die Beziehung der beiden. Vor diesem Hintergrund agieren mit Präsenz und, Präzision: Felix Rank, der glaubhaft auf der ganzen Klaviatur von Liams Gefühlen und Regungen zwischen schutzsuchendem Waisen und sadistischem Rassisten spielt. Judith Richter als überzeugende, zwischen die Fronten geratende Frau am Rande des Nervenzusammenbruchs, der die heile Familie über alles Unrecht geht. Und Matthias Hack als anfänglicher Beschwichtigungskünstler Danny, der verzweifelt versucht, noch einen letzten Rest bürgerlicher Wohlanständigkeit zu retten.

Alle drei drohen sie da drinnen an der Welt da draußen zu zerbrechen.

Andreas Hutter, Neues Volksblatt, 16.02.2013

Blumen und Horror

Exzellente „Waisen“ im Theater Phönix:

Wie sich ein Abend mit Blumen und Wein in einen Horrortrip verwandeln kann, erzählt das Stück „Waisen“ des Londoner Autors Dennis Kelly. Regisseur Johannes Maile spinnt im Linzer Phönix Theater ein psychologisch feines Gewebe um Loyalität, Liebe und Gewalt Eine durchaus bemerkenswerte Inszenierung!

Eigentlich wollten sich Helen und Danny einen netten Abend machen. Da taucht Helens Bruder Liam auf, mit blutverschmiertem Shirt. Er erzählt, dass da irgendwo draußen einer schwer verletzt liegt …

Die komplexen Charaktere werden zur Herausforderung für die Regie. Johannes Malle führt ruhig durch das Stück, lässt aber keine schockierende Wendung aus. Matthias Hack ist ein stoischer Danny, der als einziger die Tragweite des Verbrechens durchschaut und registriert, was Lüge und Gewaltbereitschaft aus seiner Ehe machen. Felix Rank spielt einen nervösen, unberechenbaren Liam, der, von Kindheitserfahrungen geknebelt, nur zuschlagen will. Schließlich wird jede Moral gekippt und getan, was eigentlich nicht getan werden sollte - eine beachtliche Inszenierung eines grandiosen Stücks!

Elisabeth V. Rathenböck, Krone, 16.02.2013

Der Raum weitet sich

Am Theater Phönix in Linz läuft derzeit Dennis Kellys Stück „Waisen". Eine Studie über Angst, Gewalt und Lügen - und mit speziellem Bühnenbild.

Linz - Der Londoner Autor Dennis Kelly (geb. 1965) nimmt in seinen Dramen häufig eine Krimihandlung als vordergründige Ausgangssituation, die sich dann zu einer präzise formulierten Sozialkritik entwickelt. In Waisen (ÖEA 2011 am Schauspielhaus Wien) ist es Liam, der eines Abends blutverschmiert vor der Tür seiner Schwester und deren Mann steht und meint, er habe einen verletzten Buben gefunden. Alles aber ist ganz anders und entwickelt sich zu einem monströsen wie fragilen Gebilde aus Lügen, Ängsten und Gewalt. Mit „Waisen" sind alle Menschen gemeint, „die sich abgekoppelt fühlen", so Kelly im STANDARD-Gespräch anlässlich der Uraufführung.

Viele fühlen so, als würde sich in unserer Gesellschaft niemand mehr um den anderen kümmern. Das führt zu Angst, und diese Angst bringt auch die Protagonisten in Waisen dazu, gegen moralische Grundwerte zu verstoßen. Nach und nach entblättert sich ein Psychothriller aus Liebe, Loyalität, Vorurteilen und Rassismus, der letzten Endes nur Opfer kennt.

Johannes Maile, der zuletzt 2012 am Theater Phönix Neil LaButes das maß der dinge inszeniert hat, hat Kellys Vorlage stark gekürzt und verzichtet auf eine vierte Figur (ein Kind) völlig. Der Text ließe das ohne weiteres zu, so Maile, ohne dadurch Dichte und Brisanz zu verlieren.

Interessant ist die Idee, ein Bühnenbild in Auftrag zu geben, das sowohl für Waisen als auch für die ebenfalls zurzeit am Theater Phönix laufende Produktion Der Weibsteufel (von Karl Schönherr, ebenfalls eine Dreiecksbeziehung) adaptierbar ist. Magdalena Gut, die in Wien bei Erich Wonder Kostüm- und Bühnengestaltung studiert hat, hat die Aufgabe gelöst, für Maile einen möglichst leeren, kontextfreien und für den Weibsteufel einen engen Raum zu erzeugen.

Wiltrud Hackl, Der Standard, 16.02.2013