Rezensionen
Augenblick, verweile doch, du bist so schön!
Silvia Nagl, OÖN, 06.05.2006
THEATER: Eine fulminate "Faust I" und "Faust II"-Kurzversion im Linzer Theater Phönix
Es ist eine großartige Teamleistung, die seit Donnerstag im Linzer Theater Phönix zu sehen ist. Mit Bravour wurde dieses monumentale Textgebirge bewältigt und zu einem unvergesslichen Theatererlebnis verarbeitet: "Faust. Der Tragödie erster Teil" und "Faust. Der Tragödie zweiter Teil" von Johann Wolfgang Goethe wurde zu "Faust. Collateral Damage" nach Goethe.
Ein textintensives Stück Weltliteratur, wobei der zweite Teil als unspielbar gilt. Und er ist ja wahrlich von beinah unerträglicher Intellektuellen-Geschwätzigkeit. Wenn da nicht Regisseur Ioan C. Toma und die beherzten Phönix-Dramaturginnen Silke Dörner und Irene Girkinger wären. Es gehört schon eine große Portion Mut, Gespür, Konsequenz und vor allem dramaturgisches Geschick dazu, beide Teile zu spielen - und zwar so, dass sie auf zirka zweieinhhalb Stunden Spielzeit gekürzt wurden (Peter Stein brauchte dafür 21 Stunden ...) - und trotzdem auch für diejenigen, die keine Ahnung vom Inhalt haben, verständlich bleiben.
Der erste Teil ist wie ein Zitatenlexikon. Es ist immer wieder verblüffend, wie Goethes wunderschöne Sprache bis heute in unseren Wortschatz übergegangen ist. Mit einem Zitat sei Tomas Regie der magischen und poetischen Momente und der atemberaubenden Bilder beschrieben: Augenblick, verweile doch, du bist so schön!
Toma hat sich die Neugier des Entdeckers und den Blick des Staunenden bewahrt, bei ihm paaren sich der Sinn für den Blödsinn und die augenzwinkernde Ironie des Schalks mit der Professionalität des Bühnenerfahrenen und Publikumverführers. Ihm ein kogenialer Partner ist Erich Uiberlacker, der eine riesige Spielwand mit verschiedenen Ebenen, Planeten, ganzen Häuserzeilen, einem Wasserbecken und vielen liebevollen Ansichten und Details in den Raum baut. Tief wühlen die beiden in ihrer übervollen Ideenkiste und holen gar wunderliche Dinge hervor. Das Schauspielteam lässt sich auf dieser Woge der überschäumenden Phantasie mittragen und steigt auf in die luft'gen Höhen der Bühnenkunst.
Der wieder einmal wunderbar wandlungsfähige Andreas Puehringer als Faust: als Alter mit der Erdkugel spielend wie dereinst "Diktator" Charlie Chaplin, als Junger einen schmachtenden Verführer flötend, in der Zerrissenheit des unbefriedigten Forschers ebenso überzeugend wie in der Sturheit eines Verrückten. Eine Meistlerleistung eines sowieso meisterhaften Verwandlungskünstlers. Matthias Hack als Mephisto ist in dieser Rolle - kurz gesagt - teuflisch gut! Mit legerer Lässigkeit bewältigt er die Textmengen und kann mit Goethes gereimter Sprache verteufelt locker umgehen. Margot Binder rührend als Gretchen und als verhüllte Helena nicht nur beim Tango ein Dancing Star. In Mehrfachrollen souverän Ingrid Höller, zwei böse Buben und freche Engerl: Theo Helm und Eckart Schönbeck.
Und dazu Musiker und Komponist Andrej Serkow, der seinem Akkordeon Melancholie ebenso wie ein großes Orgelgewitter entlocken kann. Mit den Kostümen unterstreicht Bonnie Tillemann gekonnt und mit Witz die Charaktere.
Eine herrliche Bettszene
Tipp: Hingehen und anschauen! "Faust I" und "Faust II" wird es auf eine derart klug gekürzte, verständliche und amüsante Weise wohl nicht so schnell wieder zu sehen geben. Ebenso wie eine der herrlichsten Bettszenen und eine Sterbeszene, bei der Faust im wahrsten Sinne des Wortes über die Schaufel springt ...
Die Sucht nach Erkenntnis ist von Leichen gepflastert
Birgit Thek, Neues Volksblatt, 06.05.2006
Ioan C. Toma inzenierte am Linzer Theater Phönix respektable Verdichtung von Goethes "Faust 1 und 2"
Schon mit seiner Shakespeare-Bearbeitung "Die Achse des Bösen" hat Regisseur Ioan C. Toma bewiesen, dass er eine gute Hand dafür hat, Klassiker für die heutige Zeit aufzubereiten. Mit "Faust - Collateral Damage" wagte er sich nun - erneut für das Phönix - an "das" Leitstück der deutschen Theaterliteratur, ergänzt um den selten zu sehenden, stark verkürzten zweiten Teil. Er richtet seinen Blick dabei primär auf die "Kollateralschäden", also die zahlreichen "Nebenbei-Opfer", denen Faust bei seinem hemmungslosen Streben nach Erkenntnis, sinnlichem Genuss und nach Macht den Tod bringt. Und obwohl die Textmassen Durchhaltevermögen fordern (etwa drei Stunden mit Pause), hat die Zusammenfassung durchaus ihren Reiz. Denn so kann sich die Wette zwischen Gott und Teufel um die Verführbarkeit einer menschlichen Seele bis zu ihrem für Faust letztlich doch glücklichen Ausgang entfalten. Bestens sichtbar wird, dass Faust - ein Prototyp des modernen Menschen in all seiner Selbstüberhebung - letztlich nur ein Spielball größerer Mächte ist. Andreas Puehringers Faust ist in diesem Sinne doch nur eine willfährige Marionette in den Händen Mephistos, dem Matthias Hack als smartem jungem Zyniker überzeugendes Profil verleiht. Mit seiner Ironie und einem Gabelstapler als "magischem Gefährt" bricht er das Goethe'sche Pathos und hat die Lacher auf seiner Seite. Margot Binder zieht Fausts Begehren sowohl als Gretchen als auch Helena auf sich; Ingrid Höller, Eckart Schönbeck und Theo Helm (u. a. eine köstliche Hexe) schlüpfen in die vielen Rollen von Gott bis zum Kentauren Chiron. Einen wichtigen Akzent der Aufführung steuert die Musik von Akkordeonist Andrej Serkow bei. Ein absolutes Highlight der Inszenierung ist aber Erich Uiberlackers Bühnenlösung, die durch kluge Farblichtregie geradezu magische Wirkung erzeugt.
Gewagter Bilderbogen
Elisabeth Vera Rathenböck, Krone, 02.02.2006
Theater Phönix spielt „Faust 1 und 2“
Faust schließt einen Pakt mit dem Teufel, um sein irdisches Leben gegen einen wunderbaren Augenblick zu tauschen. Goethes „Faust“ lässt sich neu verpacken und bleibt doch der alte, denn Ioan C. Toma lässt in „Faust. Collateral Damage“ im Linzer Theater Phönix Gefühle lodern und Verse klingen.
Faust ordnet alles seinem Hunger nach Erkenntnis unter und beschreitet so einen Weg, der zwangsläufig in Zerstörung enden muss: Selbstzerstörung, Zerstörung von anderen und somit letztendlich die Zerstörung der tradierten Welt.
In seiner Bearbeitung belässt Ioan C. Toma das Sprechstück in der klassischen Version, wenn er auch kräftig kürzte. Beide Teile des „Faust“ lassen sich in einem gewagten Bilderbogen von zweieinhalb Stunden verpacken. Man entdeckt schöne Bilder, interessante Kostüme und moderne Gesichter in dem Stück, in dem jeder Satz schon das Klischee bedient.
Doch nicht alles ist Ironie. Andreas Puehringer gibt einen ernsten Faust und alten Mann, dem auch die Verjüngung kaum jugendliches Leichtgefühl beibringt. Sein Wahlbruder Mephistopheles – wunderbar gespielt von Matthias Hack – gibt seinen Machenschaften moderne Fratzen. Andrej Serkows Akkordeon übersetzt die Tragödie in filmisches Musik. Das beeindruckendste Element der Bühnengestaltung von Erich Uiberlacker ist ein Hubstapler, der sich mit seiner menschlichen Fracht himmelwärts oder in Richtung Hölle bewegt.
Faust, unbeschadet
Franz Zamazal, Christian Hanna, OÖ Kulturbericht, 01.06.2006
Collateral Damage – diesen Untertitel verpasste Ioan C. Toma seiner Inszenierung von Goethes Faust. Nach Goethe und Bearbeitung verkündet das Programmheft: das trifft für den Anfang zu, in der Folge handelt es sich um eine radikale Strichfassung des Klassikers aller Klassiker. Bearbeiter Toma erklärt den Untertitel so: Diese Inszenierung ist den vielen Opfern gewidmet, die der Mensch in seinem „edlen Streben“ sozusagen als Kollateralschaden auf seinem Weg liegen lässt. Konsequenterweise fokussiert die Textauswahl die Opfer Fausts in beiden Teilen der Tragödie, weitere Kriterien sind die Verführbarkeit des Menschen und das Wasser. Nur eine so klare Auswahl macht eine weitgehend schlüssige Verdichtung auf einen Abend möglich. Vor allem der Tragödie Erster Teil lässt nichts Wesentliches vermissen, während die Verknappung der Tragödie Zweiten Teils auf gerade einmal eine Stunde einer dramaturgischen Gratwanderung gleichkommt. Dem Regisseur Toma gelang mit einfachen Mitteln und kurzer Besetzungsliste eine straffe, kurzweilige Inszenierung.
Trotz Detailschwächen ist das Verdienst, sich mit beschränkten Mitteln über so ein monumentales Werk zu trauen, dem Theater Phönix hoch anzurechnen.