Rezensionen
Auf der Müllhalde der zivilisierten Welt
Peter Grubmüller, OÖNachrichten, 03.03.2020
30 Jahre Theater Phönix: Ingrid Höller und Ferry Öllinger wachsen bei der szenischen Lesung von Turrinis „Rozznjogd" zu einem Kraftwerk zusammen
1988 waren die damals in der Leondinger „Spielstadt" werkenden Theaterrecken mit Peter Turrinis „Rozznjogd" in der Regie von Georg Schmiedleitner beim „Züricher Theater Spektakel" eingeladen gewesen. Ein Jahr später eröffnete die furchtlose Truppe nach langem Seilziehen mit kulturpolitischen Verhinderern das Theater Phönix in der Linzer Wiener Straße - erneut mit Turrinis 1971 uraufgeführtem Elementarereignis des einst jungen, wilden Volkstheaters. Allerdings nur deshalb, weil Turrinis „Minderleister" wegen der Erkrankung eines Darstellers verschoben werden mussten.
Der gute Grund des 30-jährigen Bestehens der bedeutenden Mittelbühne brachte „Rozznjogd" nun endlich wieder ins Phönix - als szenische Lesung (Einrichtung: Harald Gebhartl, Bühne: Gerald Koppensteiner), aber in bester Besetzung von einst: Ingrid Höller („Sie") und Ferry Öllinger („Er") feuern die Sätze zweier Arbeitskollegen während ihres ersten Rendezvous bei einer Müllhalde am Stadtrand wie damals durch den abgedunkelten Raum. Sie, die verzagt Romantische, hat sich herausgeputzt. Er, der Grobschlächtige, will grabschen, vögeln und Ratten „killen", damit er sich selbst spürt.
Höller und Öllinger brauchen sich beim Seelen-Striptease dieser von der Konsumgesellschaft Verwahrlosten nicht das Gewand vom Körper zu reißen. Der Rausch dieser Entsorgung von allem Überflüssigen offenbart sich im herausragenden Tuning und perfekt abgeschmeckten Ton der beiden. Als sei ein altes Kraftwerk aufs Neue zusammengewachsen. Zum Ärgern ist lediglich, warum es manche im Publikum partout nicht schaffen, das Handy vor Beginn eines Theaterabends auszuschalten.
Dem Phönix sei nicht nur für diesen Abend gedankt, sondern für 30 aufrüttelnde, brennende Themen nie vernachlässigende Jahre. Ein Bravo für diesmal - und für das Gesamtwerk.
Was die Karosserie verbirgt
Christian Pichler, Oberösterreichisches Volksblatt, 03.03.2020
Wiedersehen: Höller & Öllinger in Turrinis „Rozznjogd" im Phönix
„Host Aungst?" - „Host du kane?" Eine Müllhalde, er und sie im Auto. Zwei Menschen, die endlich die verdammten Verkleidungen und Verrenkungen hinter sich lassen wollen. Er aggressiv, unsicher, sie hin- und hergerissen von seinem Prolo-Charme. Mit Autos kennt er sich aus, mit Menschen nicht so. Hinter der Karosserie, vermutet er, in den Menschen drinnen Unrat und Exkremente. Sie will weg, spielt dann bei der völligen Entblößung mit. Peter Turrinis ,Rozznjogd" am Freitag im Linzer Theater Phönix, ein Wiedersehen nach dreißig Jahren mit Ingrid Höller und Ferry Öllinger.
Das Phönix eröffnete 1989 in ebendieser Besetzung, nachdem das Stück schon zwei Jahre erfolgreich an der Spielstätte Leonding gelaufen war. Ein wuchtiger Klassiker (Uraufführung 1971), der noch immer ins Mark fährt. Der auch einer Gegenwart der geschönten Oberflächen und gespielter „Authentizität" ans Bein pinkelt.
Gebhartls Bearbeitung wie ein perfekter Popsong
Höller und Öllinger haben sichtlich Spaß an der rohen Sprache, am Aufruhr des jungen Turrini. Gelächter und Verzweiflung, Sprüche für die Ewigkeit. „Mogst Chips zum Bier?", „Schee bist ned", „Gemma schmusn?" Was zögerlich begann, mündet in körperlichen und Seelen-Striptease. Öllinger schlüpft mit größter Hingabe in seine Rolle, bläht sich auf, ein Grobian, ein Zärtlicher auch? Er knallt gerne Ratten ab, ein Mann muss töten („vastehst?"). Höller ein tolles Mädchen mit abgebrühtem Humor, sie ist verletzlich und kann austeilen. Vergnügt sich mit der Puff'n, entlässt aus spitzem Mündchen ein staubtrockenes „Peng!". Sie berauben sich ihrer Privatheit, vernichten unnützes Geld. Ein Fest der Verachtung, zwei Schüsse beenden nach einer knappen Stunde die Raserei. Die Gesellschaft, die so viel Nacktheit und Wahrheit nicht hinnehmen kann? Noch viel, viel länger, hätte man diesem herrlichen Pärchen zuschauen und zuhören wollen. Andererseits: Harald Gebhartls Bearbeitung wie ein perfekter Popsong. Kurz und schmerzhaft, witzig und mitreißend. Wildes Getrampel der Lohn für eine szenische Lesung mit beachtlichem Körpereinsatz.
Erbarmungsloser Seelen-Striptease
Jasmin Gaderer, Kronen Zeitung Oberösterreich, 03.03.2020
Szenische Lesung von „Rozznjogd" zum 30-Jahre-Jubiläum des Theater Phönix
30 Jahre feiert das Theater Phönix Linz diese Saison, bald 50 Jahre hat das damalige Eröffnungsstück „Rozznjogd" von Peter Turrini nach Motiven von Willard Manus auf dem Buckel. Mit einer Szenischen Lesung würdigt man das Jubiläum.
Vor 30 Jahren haben sie das Theater Phönix in Linz mit Turrinis „Rozznjogd" eröffnet - nun schlüpfen die Schauspieler Ingrid Höller und Ferry Öllinger wieder in ihre damaligen Hauptrollen (ER und SIE). Dieses Mal aber altersentsprechend ein wenig schaumgebremster mit einer Szenischen Lesung des Kultstücks, die am Freitag Premiere feierte.
Umgeben von weltlichem Klumpert (Szenische Ein-richtung: Harald Gebhartl), dessen sie sich schon bald entledigen werden, sitzen die beiden Phönix-Urgesteine an einem Tisch. Sie mögen 30 Jahre älter sein, doch an Temperament und Leidenschaft fehlt es ihnen weiterhin nicht: Das grindige Gspusi im finsteren Dreckloch, das schon bald in einem erbarmungslosen Seelen-Striptease endet, nimmt man ihnen ohne weiteres ab. Durch den intimen Raum am Balkon des Theaters wirkt die Szenerie noch unmittelbarer auf das Publikum, vor allem, wenn Öllinger in Richtung Sitzplätze auf die Ratten „schießt". 50 Minuten lang beleidigen, begrapschen, filzen sich Höller und Öllinger, sind sich mal spinnefeind und dann wieder verwandte Seelen. Es ist leicht, mit den beiden komplett in das legendäre Dialekt-Stück einzutauchen, der Text selbst scheint sie regelmäßig von ihren Stühlen zu reißen - wirklich schade, dass es „nur" bei der Lesung geblieben ist. Dennoch ein gelungenes Revival der Linzer „Rozznjogd".